
Heute wird im Bundestag über die Suizidbeihilfe abgestimmt. Dazu ein paar Gedanken:
Ich arbeite in einem Hospiz. Dort leben Menschen, die in absehbarer Zeit sterben werden. Sie verabschieden sich von ihrer Vergangenheit und trauern um das, was sie verlieren. Sie werden mit jedem
Tag schwächer und verschwinden Stück für Stück. Sie haben Angst vor dem Ersticken und fragen sich, welchen Sinn das Sterben haben soll.
Doch es gibt auch Freude, nämlich genau in den Momenten, wenn sie teilhaben, wenn sie Mitmenschen sind. Sie setzen sich beim Sommerfest mit an den Tisch und trinken Bier, fahren mit dem Rollstuhl
heimlich rauchen, lassen sich auf einen Besuch der Kirche ein oder genießen es, wenn jemand bei ihnen ist. Sie schauen sich mit den Pflegerinnen alte Fotoalben an, genießen ein Glas Sekt, spielen
Karten oder schlafen mal den ganzen Tag. Sie fahren mit dem Wünschewagen hunderte Kilometer, um ihre Katze nochmal zu sehen. Sie leben noch!
Das schwerste beim Sterben, so erscheint es mir, ist das Warten auf den Tod. Diese tägliche kleine Depression endet jedoch meist, wenn ein anderer Mensch da ist, wenn man wahrgenommen wird und in
Gemeinschaft existiert.
Krankheiten und Schmerzen lassen sich behandeln, doch unser größtes Leid ist die Einsamkeit. Dagegen gab es keine Pillen. Die standardisierte Suizidbeihilfe kann das ändern. Endlich kann man ein
Leben beenden, das niemanden interessiert, das die Gemeinschaft zuviel kostet (denn so wird bald argumentiert werden), ein Leben, das niemand mehr liebt.
Es scheint paradox: In der Coronazeit sollte jede Lebenswoche alter und kranker Menschen durch das Einschränken der Gesellschaft gerettet werden und nun will man ihnen einen einfachen Zugang zum
Lebensende ermöglichen. Wovon geht man denn nun aus? Davon, dass diese Menschen unbedingt leben oder eigentlich sterben wollen?
Der Gesetzesentwurf von Künast und Henning-Plahr, unterstützt von Lauterbach, besagt: "Jeder darf einem anderen, der aus autonom gebildetem, freiem Willen sein Leben eigenhändig beenden möchte,
auf dessen Wunsch Hilfe zur Selbsttötung leisten und ihn bis zum Eintritt des Todes begleiten." (NDR: https://bit.ly/3psmJe4) Eine strafrechtliche Regelung wird es nicht geben. Dafür ein
Beratungsnetz. So wie bei der Abtreibung. Wie viele Frauen entscheiden sich eigentlich nach der Beratung dazu, ihr Kind zu behalten?
Es gibt heute bereits Möglichkeiten, zu helfen. Dass die Medizin unnötiges Leid verursacht ist unbestritten. Jedoch besteht die Lösung nicht in der radikalen Beendigung, sondern in palliativer
Medizin und Pflege, die das Sterben zulassen, die sinnvoll begleiten und versorgen (nicht nur körperlich). Das radikale Ende durch Medikamente ist in den seltensten Fällen nötig. Und das soll
auch sein, wenn es gewünscht ist. Wenn man jedoch weiß, wie der Ethikrat (siehe meinen Beitrag) über alte kranke Menschen denkt, ist dieses Gesetzesvorhaben mit größter Wachsamkeit zu betrachten.
Wir beschneiden das Leben - am Anfang und am Ende. Diese Politik ist lebensfeindlich auch wenn sie vorgibt, alles nur für den Menschen zu tun. Denn wer den Menschen liebt, der sorgt dafür, dass
er gut versorgt ist und nicht einsam sein muss, der fördert die guten Momente und nicht das schnelle Ende.
Davon sind wir weit entfernt.
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