
Seitdem ich politisch denken kann, frage ich mich, was ich eigentlich bin, welches Etikett an meinen Kopf gehört. Als ich sehr jung war und heimlich Bier mit den Punks meiner Heimatstadt trank, dachte ich, ich sei Punk. Als ich anfing DIE ZEIT zu lesen, dachte ich, ich sei klug und links. Und als ich anfing, selbst zu denken, erkannte ich, dass es auch anders sein könnte.
Selbst denken
Ich hatte mich nie im politischen Spektrum eingeordnet, bis andere mich in Ecken drängten. Es begann mit dem Krieg, 2014 in der Ostukraine. Bei mir regten sich die ersten Fragen und die Verwirrung über die Einseitigkeit der Medienberichterstattung. Danach fing ich an, ernsthafte Bücher zu lesen, über Wirtschaft, Politik, Geld und Philosophie. Seitdem glaube ich, konservativ zu sein.
Als ich diesen Verdacht vor einigen Jahren einer Freundin erzählte, meinte sie, das wäre unmöglich. Allein auf Grund meines wilden Denkens, könne ich nicht konservativ sein. Doch schließt das eine das andere aus? Was bedeutet es eigentlich, konservativ zu sein? Muss man dafür Klavier spielen können und immer gerade sitzen, oder steckt hinter dem Begriff tatsächlich etwas, was ich schon lebe? Zeit für eine Auseinandersetzung.
Im März erschien ein neues Buch des kanadischen Psychologen Jordan B. Peterson. Sein Konservatives Manifest beschreibt anhand dreizehn großer Begriffe wie Demut, Wahrheit oder Gerechtigkeit, welche Optionen und welche Werte der Konservative vertritt. Das Buch ermöglicht Orientierung an Werten, die man selbst vielleicht noch nicht gefunden oder noch nicht formuliert hat. Es sind konservative Werte. Sind es meine?
Demut und Wahrheit
Das Konservative bringen die Jahre mit sich: Mit dem Älterwerden stelle ich fest, dass das Bewährte seine Berechtigung hat. Das Zerstörerische der Jugend, die abbrechen muss, um aufbrechen zu können, liegt lange hinter mir. Heute habe ich Haus, Garten und Familie und muss darauf bestehen und dafür sorgen, dass diese Dinge sicher sind. Sie sind mein Zuhause und das ist dort, wo es ist und nicht in einem optionalen Denkraum. Zuhause ist, wo mein Alltag ist, wo die Routinen Sicherheit und Langeweile verschaffen, der Hafen, in den ich nach der Arbeit oder dem Urlaub zurückkehre. Zuhause muss konservativ sein, sonst wäre es in ständiger Gefahr.
Peterson beginnt in seinem Manifest mit einem Begriff, der mich immer ein wenig abstieß, weil er mir zu kirchlich erschien. Das Wort Demut habe ich nur aus Pastorenmündern gehört und da kam es mir stets so vor, als würde man mir den Mund verbieten. Doch Peterson beschreibt mit Demut die durchaus einleuchtende Tugend, sich selbst nicht für vollkommen und die Ansichten anderer für wahr zu halten. Es braucht diese Demut, um zu lernen und um weiterzudenken. Wem in diesem Sinne Demut fehlt, der ist fertig, der ist gefangen in geistigem Stillstand. Später schreibt Peterson, "dass Wahrheit selbst niemals in einer bestimmten Reihe von Fakten oder einem speziellen Wissensstand zu finden ist", sondern dass Diskursfähigkeit die "Verkörperung der Wahrheit" sei. Dieser Weg, das Wahre im gemeinsamen Denken zu finden, ist nur möglich durch die Akzeptanz des Anderen.
Nach drei Jahren Corona-Eindeutigkeiten und mit Blick auf die dogmatische Zukunft der Klimarettung sollten wir uns diese Definition von Wahrheit an die Stirn tackern. Wir müssen Rede- und Gedankenfreiheit schützen und leben, damit dieser Prozess der Wahrheitsfindung als Diskursleistung überhaupt möglich ist. Denn dann würde z.B. deutlich sichtbar sein, dass zu dem Fakt des Klimawandels auch der Fakt gehört, dass totalitäre Maßnahmen und Bevölkerungsreduktion als vermeintliche Rettungsstrategien Menschen töten werden.
Identität und Einigkeit
Peterson, der seit Jahren mit den Auswirkungen identitätsbasierer Politik konfrontiert ist, schreibt, dass Identität nicht Gruppenzugehörigkeit ist, sondern eine ständige Aushandlung, eine Vereinbarung zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft. Sie bildet sich in der Auseinandersetzung mit den anderen, den Eltern, den Partnern, den Kollegen etc. heraus. Und natürlich ist das richtig, denn nur so kann ein Mensch wandlungsfähig bleiben und wachsen. Gegen die Spaltungstendenzen gruppenbezogener Agitation setzt Peterson die konservative Bevorzugung der Einigkeit. Diese sei möglich, wenn man an den guten Willen der anderen glaubt. Was wiederum bedeutet, dass man sich von dem negativen Menschenbild abwendet, das gerade im Zusammenhang mit der Klimapolitik propagiert wird. Einigkeit schafft Gemeinsames, statt Trennendes und ermöglicht die Gestaltung einer Zukunft, in der Solidarität von allein entsteht und nicht verordnet werden muss.
Schöpfungsverantwortung
Der Mensch nutzt die Natur, um überleben zu können, er wirkt auf sie ein. Peterson plädiert hier für die konservative Schöpfungsverantwortung. Wir sollen sorgsam mit der Umwelt und den Ressourcen umgehen und den Erfindungsgeist, der sich in freien Marktwirtschaften entwickelt nutzen, um das zu tun. Der Autor kritisiert; dass "panisches, apokalyptisches Denken [...] demoralisiert." Ich will dies um folgenden Gedanken ergänzen: Wenn wir in den Nachrichten immer wieder vom Leid in der ganzen Welt hören, erstarrt das Gefühl, etwas tun zu können. Gleichzeitig erscheint die Kinderarmut vor Ort bei weitem nicht so schlimm, wie die Katastrophe in Afrika. Also spendet man Geld in die Welt und hat damit genug getan. Das direkte Umfeld jedoch bleibt außen vor, dabei liegt genau dort unser Handlungsfeld.
Fazit
Ein Konservatives Manifest überrascht nicht mit Neuem, sondern bringt das verschüttete Vernünftige ins Bewusstsein. Beim Lesen fühlt es sich an, als wären das Selbstverständlichkeiten. Doch sobald man dann wieder DIE ZEIT liest, merkt man, dass konservatives Denken eben nicht mehr selbstverständlich ist. Das Buch eignet sich also dafür, eine Basis zu finden, für sich selbst, für Diskussionen und gemeinsame Vorhaben.
Und ich? Bin ich nun konservativ? In Teilen schon, beim Punkt Gemeinschaft jedoch behalte ich mir vor, der Einzelgänger zu bleiben.
Jordan B. Peterson, Konservatives Manifest, 2023, fontis-Verlag, 15,90 Euro
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