
Der Papst, der schon vor Jahren sein Amt verließ - ist tot. Seine letzte Ruhestätte fand er in den Vatikanischen Grotten unter dem Petersdom. Als er ernannt wurde, war ich gerade in Barcelona. Ich erinnere mich an das gespannte Warten der Menschen auf die Farbe des Rauches, der erst schwarz und dann weiß war. Weiß bedeutete - wir haben einen neuen Papst. Und dieses Wir war Deutschland, in dessen Blättern "Wir sind Papst" zum tagelangen Mantra wurde. Nun ist es vorbei: Wir waren Papst und zurück bleiben Grab und Schriften von Benedikt dem XVI.
Kaum war er gestorben, begann bei Twitter der Wettkampf um die pietätlosesten Kommentare, die sich wahlweise um seine Rolle bei den Missbrauchsvorwürfen gegen die katholische Kirche oder sein Aussehen als Toter entspannen.
Am 22. September 2011 sprach Papst Benedikt im Deutschen Bundestag. Mich hat das damals nicht interessiert, doch jetzt brachte mich Birgit Kelle auf diese Rede und als Zeichen des Respektes gegenüber einem klugen alten weißen Mann, las ich seine Worte und dachte ein bisschen weiter
Das Thema der Rede im Bundestag war Macht. Benedikt leitete mit einer Geschichte aus der Bibel ein: Salomon wünscht sich von Gott für seine Regentschaft nur eines: ein hörendes Herz, damit er das Gute vom Bösen unterscheiden und so sein Volk regieren kann. Benedikt mahnt, dass wer Macht hat, dieses hörende Herz nicht außer Acht lassen darf. Es hört auf eine Transzendenz, die mehr ist, als das, was in Gesetze gemeißelt wurde. Vor allem dann, wenn Recht verfälscht und Gerechtigkeit zerstört wird, so der damalige Papst. Er erklärte, dass es eine Gerechtigkeit gibt, die der Gesetzlichkeit widersprechen kann. So zum Beispiel eine, die die Widerstandskämpfer im Dritten Reich erkannt haben, die sich gegen das Regime stellten. Im Zentrum seiner Ausführungen steht das Naturrecht, das im Gegensatz zur positivistischen Weltbetrachtung davon ausgeht, dass Mensch und Natur eine Einheit sind und dass das Sein das Sollen bestimmt. Die Positivisten hingegen verstehen die Natur als etwas Eigenständiges, dass auf dem Ursache-Wirkungs-Prinzip beruht, aber kein Sollen, also keine Ethik hervorbringen kann. Laut Benedikt sieht der Positivismus nur, was rational, verifizierbar und erfahrbar ist. Das gilt sowohl für die Natur als auch für die Vernunft. Er fragt sich, ob das ausreicht, um einen "Ethos" zu leben.
Benedikt sprach in dieser Rede etwas Grundlegendes an: Wenn Natur und Vernunft nur noch funktional betrachtet werden, fehlt etwas, das über allem steht. Das Verflimmern der christlichen Religion hinterlässt über dem Rationalen eine Leere, die nur anfangs als Vakuum betrachtet wird und irgendwann einer fernen Erinnerung Platz macht. Dann wird man denken: Da war doch mal mehr als das, was möglich ist. Eine Sphäre des Übermenschlichen, der Sehnsucht und der Heiligkeit, eine universale Aussage zum Menschsein als Ebenbild des Göttlichen. Benedikt sieht die Grundlagen des Ethos in der Natur und schreibt diese dem Schöpfergott zu. So weit kann und will ich als Ungläubige nicht gehen, dennoch stellt sich mir die Frage, ob eine Ethik, die auf funktionaler Vernunft beruht, tatsächlich immer eine menschliche Ethik sein wird.
Die Mehrheit war und ist die von einer Minderheit erzogene Masse
Ab dem Moment, wo aus Stammesgesellschaften komplexere Gebilde werden, wird die Funktion einer Gesellschaft durch Machthaber definiert, die vorgeben, die Vernünftigsten zu sein. Ethik ist dann das, was diejenigen wollen, die an den Schalthebeln der Macht sitzen. Hitler wollte die Vorherrschaft der "arischen Rasse" und setzte dafür sein Volk als Soldaten ein. Stalin wollte die Macht der Arbeiter und führte sein Volk in die Knechtschaft des Kommunismus. Beide versprachen den Himmel auf Erden, wenn das Ziel erreicht ist. Die Vernunft, die Ethik, entwuchs einigen wenigen Köpfen, die mit massenmedialen Zungen sprachen. Die Mehrheit war und ist die von einer Minderheit erzogene Masse. Wer bestimmt, was wir denken, was wir lesen und hören? Es sind einige Wenige, die vorgeben, besser mit der Komplexität der Welt umgehen zu können als wird. Menschen, die uns sagen, dass es keine einfachen Antworten gibt. Über dem Gesetz und über der Wissenschaft gibt es kein richtig mehr. Die Wissenschaft ist zu unserem Horizont geworden, hinter dem wir uns nichts mehr vorstellen können, wollen und sollen.
Papst Benedikt sprach an, dass es auch eine "Ökologie des Menschen" gibt. Der Mensch ist nicht unabhängig von der Natur zu betrachten, er ist Natur. Aus diesem Grund muss Vernunft, die ja des Menschen Geist entspringt, auf den Prinzipien der Natur beruhen. Was geschieht mit dem Menschen, wenn die Wissenschaft wider die Natur argumentiert und die Politik mithilfe der Medien, den natürlichen Menschen umerzieht? Eine Gesellschaft, die von Minderheiten unaufhörlich mit Ausnahmen in Frage gestellt wird, wird zerbrechen. Der Mensch ist schädlich und boshaft, sagt man uns. Es scheint, als verlassen die "Fortschrittlichen" die Mehrheitsgesellschaft, drehen sich um und bewerfen sie mit Steinen. Alles, was galt, gilt nun nichts mehr. Alles was kommen soll, entsteht auf dem leeren Blatt einer bereinigten Welt, einer Welt, die CO2-neutral sein soll.
Jeder weitere Mensch ist einer zuviel
Wenn also das Ziel dieser Gesellschaft die Klimaneutralität ist, dann ist es nur vernünftig, all das zu eliminieren und zu vermeiden, was CO2 produziert. Die Einsparungen werden messbar sein müssen. Schon jetzt verzichten junge Menschen auf Kinder, weil sie das Klima nicht belasten wollen. Die Aussage dahinter ist: Jeder weitere Mensch ist einer zuviel. Von dort ist es nicht mehr weit bis zu: Jeder Mensch ist zuviel.
Wir sind im gefährlichen Fahrwasser eines Fanatismus gelandet und werden, wenn wir die "Unantastbarkeit der Menschenwürde in jedem einzelnen Menschen" (Benedikt) nicht verteidigen, in einer klimaneutralen Zukunft landen, die keine Menschen mehr kennt.
Benedikt XVI wird das nicht mehr erleben, wir vielleicht schon. Die Frage ist, ob sich diese Zukunft abwenden lässt. Die Aufgabe ist, darüber nachzudenken, wie menschlich wir noch sind.
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