
Im ZEIT-Artikel "Haben wir die Abschreckung verlernt?", schreibt Jan Ross über seine Idee zum Sieg über Russland und andere "potentielle Gefahrenstaaten". Es reiche nicht mehr aus, dass Russland und USA einander nuklear gefährlich sein können. Vielmehr müsse der Westen, womit der Autor vor allem Deutschland meint, aktiv werden.
Man muss [...] durch sein Verhalten beweisen, dass man bereit ist, Risiken einzugehen und Opfer zu bringen.
Doch wer ist dieses "man", das sich da beweisen soll? Ganz sicher sind es weder Journalisten noch Politiker. Nein, es ist die deutsche Bevölkerung. Deutsche Soldaten der Bundeswehr sollen in einen Krieg gegen Russland ziehen. So zumindest schimmert es zwischen den Zeilen, die immer wieder nach Taten rufen. Da reiht sich der TV-Spot der Bundeswehr gut ein, der zeigt, wie wichtig der Einsatz der Soldaten in den Kriegen der Welt ist. Nur durch diese können wir auch in Zukunft in Ruhe Macarons essen.
Jan Ross besteht darauf, dass eine "existenzielle politische Notwendigkeit" geboten ist, um zukünftigen Aggressionen vorzubeugen. Unsere "moralische Verpflichtung" bestehe darin, die territoriale Integrität der Ukraine wieder herzustellen. Moral und Existenzielles sind recht große Begriffe, mit denen der Leser da konfrontiert wird. Doch gehen diese überhaupt zusammen?
Wer in Not ist, der rettet sich und scheißt auf die Moral und wer moralisch auftreten kann, ist nicht in Not. Worum geht es denn also nun wirklich? Wollte man der Ukraine tatsächlich helfen und die Russen wieder aus dem Land treiben, müsste man Soldaten schicken und aktiv in den Krieg eintreten. Das tut die Deutsche Regierung aber nicht. Stattdessen liefert sie Waffen und fordert mit der bezaubernden Stimme Marie-Agnes Strack-Zimmermanns "Opferbereitschaft" von den Leuten zu Hause. Diese Forderung taucht auch bei Jan Ross auf, wenn er schreibt:
Die Waffenlieferungen an die Ukraine [...] sind [...] ein wichtiges Beispiel. Aber auch die Bereitsschaft, als Folge der Sanktionspolitik eigene wirtschaftliche Einbußen und sozialen Stress hinzunehmen.
Das Opfern des eigenen Wohlstandes und die daraus folgenden möglichen Unruhen, meint Ross, würden dem russischen Aggressor zeigen, dass man zu allem bereit sei. Wie bescheuert ist das? Der Westen soll als ernstzunehmender Kriegsgegner auftreten, in dem er sich selbst schwächt? Es ist lächerlich, zu meinen, dass Deutschland in einem Krieg gegen Russland tatsächlich mehr als ein moralisches Wohlgefühl gewinnt. Der Status unserer Verteidigungsgruppe und deren Ausrüstung ist gemeinhin bekannt. Jetzt haben wir auch noch 5.000 Helme weniger. Und wer bitte schön, unterstützt denn eine Kriegsbeteiligung, ohne tatsächlichen Verteidigungsgrund, bei gleichzeitigem massiven Verlust von Lebensqualität? Die von oben verordnete Solidarität funktioniert nicht. Das müsste inzwischen deutlich geworden sein. Des Weiteren ist fraglich wie und ob die Deutschen Flüchtlingen noch helfen wollen, wenn sie die eigene Wohnung nicht mehr ausreichend heizen können.
Schaut man sich an, was mit Hilfe des antirussischen Argumentes nun stattfindet, findet man Maßnahmen, die nicht neu sind: Menschen sollen zu Hause bleiben und im Homeoffice arbeiten. Dadurch sparen die Unternehmen und Behörden Heizkosten und legen sie auf die Arbeitnehmer um. Irgendwann werden sie auch noch feststellen, dass man gar nicht so viele Leute braucht und die Überflüssigen entlassen. Die universitäre Lehre ohne Präsenzveranstaltungen funktioniert vielleicht auf mit Aufzeichnungen, was zu einer Standardisierung des Denkens führen könnte. Jegliche Kommunikation mit anderen erfolgt wieder digital. Online-Meeting-Tools, Amazon und Co werden sich freuen. Das kennen wir alles schon. Genaus so wie den Ruf nach Umverteilung, der sich in der ZEIT-Ausgabe 35 ein paar Seiten vor dem Kriegsaufruf von Jan Ross finden lässt. Im Artikel "Völker, hört die Signale", sehen die Autoren die Behebung zukünftiger Mangelzustände in der Umverteilung. Damit alle "Zugang zu einem nachhaltigen Konsum" haben können. In der Ausgabe letzte Woche stand auch wieder irgendwo das Argument, dass es ja nicht sein kann, dass die Reichen ihre Pools mit Gas heizen, während die anderen frieren müssen. Die ZEIT ist voll mit Klima, Krieg und Klassenkampf. Die ZEIT will bewegen, in eine Richtung, die mir Angst macht.
Auch der Artikel von Jan Ross schiebt die Leser in den moralischen Kampf gegen das Böse und fordert, dass wir uns beugen, um die Lasten des vermeintlich moralischen Krieges zu tragen. Ein weiteres Stück Neusprech, in dem Schwäche Stärke und "sozialer Stress" Gemeinsamkeit ist. Das passt übrigens wunderbar zum Titelbild: Ein Panzer , der von Friedenstauben umringt ist und ausdrückt, was man uns wirklich sagen will: Krieg ist Frieden.