
Am Sonntag ist Bundestagswahl und zum ersten Mal in meiner Wählerkarriere habe ich keine Ahnung, was ich ankreuzen soll. Vielmehr noch: Ich habe nicht einmal mehr das Gefühl, dass dieses Kreuz irgendetwas bewirkt, das über Sitz- und Geldverteilung hinausgeht.
Mache ich mir bewusst, was am Sonntag geschehen soll, kommt es mir absurd vor. In einer Zeit, in der viel zu wenige mit ihrem Widerspruch zu hören sind, soll ich meine Stimme abgeben, in eine Urne werfen, förmlich begraben. In der Hoffnung, dass ein Stellvertreter meine Interessen in Berlin vertritt. Nein, so ist es ja nicht einmal. Ich wähle ein Programm, das die Fragen der Realität komprimiert beantwortet. In den riesigen Räumen zwischen den Zeilen wird sich in den Folgejahren dann ablagern, worum es den Parteien eigentlich geht – Macht, Geld und Aufmerksamkeit.
In der Coronakrise hat sich offenbart, wie die Regierenden ihre Rolle verstehen und wo sie den Bürger platzieren. Wir hätten sie ja gewählt, deswegen müssen wir mit den Entscheidungen zufrieden sein. Doch die Realität ist nicht vorhersehbar, schon gar nicht vier Jahre. In einem Fall wie der Pandemie muss die Regierung in ständiger Rücksprache mit dem Souverän agieren. Und der Souverän, das bin ich. Wieso soll ich meine Stimme abgeben, wenn ich doch eigentlich einen Auftrag an den Gewählten erteile, dessen Erfüllung ich ständig überprüfen müsste anhand der Berichte und Rechtfertigungen, die mir der Gewählte zur Verfügung stellt. Aber so läuft es nicht: Stattdessen rennen die Gewählten vier Jahre mit meiner Stimme in ihrem Sack durch Land und Welt und entscheiden, wie ihnen beliebt. Diese parlamentarische Demokratie hat sich als großer Mist entpuppt. Sie ist viel zu anfällig für Korruption und Machtbestreben. Aber, wir haben sie nun mal.
David Foster Wallace sagte in seiner Rede Das hier ist Wasser, dass die Fähigkeit, sich zu entscheiden der eigentliche Sinn des Denkens ist. Mir widerstrebt diese Wahl. Mein mögliches Zutun zu diesem Demokratieschauspiel liegt mir schwer im Magen, weil ich es im Grunde nicht will. Wie entscheide ich mich: Wählen, Nicht-Wählen, ungültig machen – Das sind die Optionen.
Nicht-Wählen bedeutet, dass meine Stimme prozentual verteilt wird und damit denen, die sowieso schon die meisten Stimmen haben, mein Anteil auch noch zufällt. Wenn ich den Wahlzettel ungültig mache, dann könnte ich – vorausgesetzt, ich mache eine tolles Bild oder eine Video aus der Wahlkabine – damit ein Zeichen setzen, welches sich vielleicht bei Twitter nicht aber in der Regierungsbesetzung niederschlägt. Denn ungültige Stimmen gelten, so erklärt es die Webseite wahlrecht.de als nicht-gewählt. Meine Stimme wird also wieder dahin gepackt, wo ich sie wahrscheinlich gar nicht haben will. Bleibt also nur der Gang zur Urne mit Widerwillen.
Fazit: Die Möglichkeit zu wählen ist wie ein SANIFAIR-Bon: Da ich ihn schon mal hab, soll ich ihn auch einsetzen. Wenn ich 3,60 Euro für ein Wasser ausgebe, spare ich mit dem Bon 50 Cent. Das lohnt sich doch. Ich will aber kein Wasser, ich will gar nichts kaufen, ich mach nicht mit. Mit der Folge, dass ich mich dann aber auch nicht beschweren darf, wenn ich durstig bin. Vier verdammt lange Jahre.