
Heute vor 60 Jahren wurde die Mauer gebaut. 167,8 Kilometer Stein-auf-Stein ergänzte die innerdeutsche Grenze und trennte Familien, Freunde und ein ganzes Volk.
Heute gibt es von dieser Mauer nur noch Relikte, die zu Hotspots geworden sind, vor denen die Touristen stehen, um zu fotografieren und die Politiker, um fotografiert zu werden. "Nie wieder"
mahnen sie heute, ohne mit einem Wort zu erwähnen, dass die Mauer noch steht.
Wie so vieles braucht es keine materialisierte Form mehr, wir leben schließlich in digitalen Zeiten. Die Mauer ist in uns, die Grenzen sind dicht. Wir lassen keine Ungeimpften, keine Rechten, keine Klimaleugner, keine Coronajünger, keine Grünen, keine Geimpften - keine Menschen, die anders denken als wir in unsere Gedanken. Wir schließen alles aus, was uns widerspricht - wie trotzige Kinder, die nicht mit Schmuddelkindern spielen wollen. Wir schließen aus in einer Zeit, in der Inklusion Politprogramm ist. Weil mir meinen, es besser zu wissen, weil wir uns höher fühlen, als die anderen, weil wir klüger sind.
Die Mauer steht wieder, undurchlässiger als je zuvor. Niemand kann kommen und die Steine zerhauen, die Wände verschwinden lassen - niemand außer uns selbst. Denn eine unsichtbare Mauer kann
man vergessen, sie existiert nicht, wenn wir es nicht wollen.
Heute vor 60 Jahren wurde die Mauer gebaut. Und heute ist mein Hochzeitstag. Ich wünsche mir zu diesem, dass wir alle unsere Mauern öffnen, anderes zulassen, anderes tolerieren können. Und
dass wir höflich sind, bleiben und wieder werden. Und lustig und humorig, wenn es richtig schlimm ist. Ich wünsche mir, dass wir einander auf die Schulter klopfen und vergeben können und
gemeinsam essen und trinken an Orten wo niemand ausgeschlossen wird.
Die nächsten Wünsche veröffentliche ich an meinem Geburtstag. Der ist am Tag der deutschen Einheit.