
Heute morgen sah ich bei Twitter einen Kassenzettel mit der Überschrift ORGANSPENDEAUSWEIS vom Penny. Zunächst hielt ich das für einen Witz, denn das kann doch nicht sein: Organspendeentscheidung im Supermarkt. Wie geht das weiter? Bezahlt man demnächst die Nierchen für das Sonntagsessen und lässt die Besitzurkunde für die eigene Leber gleich im Laden?
Ich fuhr dann schnell zum nächstgelegenen Penny und besorgte mir einen solchen Papierschnipsel. Eine ältere Frau gab ihn mir. Wir sprachen dann auch kurz über das Thema, aber sie meinte, sie sei sowieso zu alt dafür. Sie wusste nicht, dass in Deutschland inzwischen circa die Hälfte der Spenden von Menschen über 60 kommt. Vor allem Gewebespenden - und die sind recht lukrativ.
Es wird immer ungern darüber gesprochen, dass hinter altruistischen Motiv der Organspende vor allem ein Geschäft steht.
Ja, ein Geschäft. Transplantationen bringen viel Geld. Bis zu 130.000 Euro wird für eine Herztransplantation gezahlt. Aber auch von Toten entnommene Gewebe, wie Hirnhaut, Knochen oder Haut werden weiterverarbeitet und als medizinische Produkte verkauft. Bis zu 100.000 Euro kann so ein Leichnam bringen. Klingt komisch, ist aber so. Aber: Man redet da nicht so drüber, wenn es um die Werbung für den Organspendeausweis geht.
Jetzt aber wird das Thema in den Supermarkt gepackt, an die Kasse, also genau an den Ort, wo es um Geld geht. Das empört mich, denn vor allem ist die Supermarktkasse auch ein sehr alltäglicher Ort. Wo man Käse, Wurst und Leber kauft. Dort soll man nun mal eben noch entscheiden, was mit dem eigenen Körper nach dem Tod oder vor dem Tod aber nach der Hirntoddiagnose geschieht. Ok, man kann den Zettel mit nach Hause nehmen und sich bei Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung einlesen. Aber über Profite findet man da nicht wirklich was. Auch nichts über organprotektive Maßnahmen.
Der Spender muss nämlich am Leben erhalten werden, wenn Organe entnommen werden sollen. Niemand braucht tote Organe zur Transplantation. Also wird auf Sedativa und Schmerzmittel verzichtet, vielleicht wird der Spender sogar extrem gekühlt - während er am Leben ist - was er ist, selbst, wenn die Hirndtoddiagnose bereits gestellt wurde. Diese ist im Übrigen nicht nur eine technische, sondern auch eine philosophische Frage und sollte von jedem einzelnen mal durchdacht werden: Ist ein Mensch in einem lebendigen Körper tot?
Dahinter steht die Frage, ob ein Mensch nur wegen seiner Hirnaktivität lebendig ist? Ist dann ein Mensch mit Hirnschäden weniger lebendig als ein gesunder? Ist schon tricky die Sache.
Doch zurück zum Kassenzettel und zur Empörung. Diese kommt vom Wort "empor" und steht für ein Auffahren. Und ja, mich lässt eine solche Aktion auffahren, ich gehe an die Decke wie ein HB Männchen. Es ist dieses aufsteigende Gefühl aus der Magengegend, das sich im Kopf festsetzt und die Gedanken Karrusell fahren lässt. "Das geht doch nicht", "Das ist unmöglich" ruft es in in mir. Und dann wird rationalisiert: Aber, man rettet doch Menschen, es ist doch gut gemeint, so denken wenigstens ein paar Menschen drüber nach. Mit solchen Sätzen kann man sich beruhigen und - schweigen üben.
Ich aber möchte das nicht mehr. Es ist empörend, im Supermarkt Organspendeausweise unterzujubeln, auf der dazugehörigen Webseite nicht ausreichend aufzuklären und die Freigabe des menschlichen Körpers zur Zerlegung in seine Einzelteile auf ein billiges Stück Papier zu drucken.
Juliane Uhl
PS: Im Gespräch mit Silvia Matthies finden Sie Informationen zur Spenderkonditionierung.