
"Reden ist Silber, Schweigen ist Gold" heißt es im Volksmund und tatsächlich ist das Schweigen eine Tugend, wenn man im Rauschen des Zu-oft-Gesagten seinen eigenen Verstand kaum noch versteht. Doch es gibt auch diese Momente, in denen jede erhobene Stimme zählt. In denen jeder wichtig ist, weil aus vielen Einzelnen erst eine Masse werden kann, die gehört wird, die politische Kraft hat. Aber was sehen wir von denen, die das Potential zu kreativem Lautsein haben - nicht viel. Kunst und Kultur protestieren mit Schweigen.
Es handelt sich um visuelles Schweigen. Kacheln, Fotorahmen auf Facebook, Plakate und Videos auf Leinwänden in der Innenstadt drohen mit der Stille. Doch das Szenario verfängt nicht, denn es kann durchaus sein, dass das Schweigen der Künstler gar nicht auffällt, weil man im Moment selbst andere Sorgen hat, als einen vermissten Theaterbesuch. Und auch, weil der mündige Bürger denen zuhört, die etwas zu sagen haben. Wie soll man auf Schweigende reagieren, außer mitfühlend? Sind die Kulturkunden, die Rezipienten nun verpflichtet, für die Schweigenden zu sprechen, solidarisch, sich ihrer Sorgen anzunehmen? Jeder hat doch mit sich selbst schon so viel zu tun. Mit der Aufrechterhaltung von Strukturen und Alltag, in einer Zeit, in der alles Davonzufließen scheint.
Das Schweigen der Künstler scheint bezeichnend zu sein, für eine Kulturlandschaft, die an der Nadel staatlichen Geldes hängt. Wess´ Brot ich ess, des Lied ich sing. Und so singen sie, selbst wenn sie schweigen, denn sie widersprechen nicht. Wie auch andernorts erschöpft sich der Protest im Betteln nach ein bisschen Freiheit. Man bemüht sich, bastelt Konzepte und befolgt das Hygiene-Regime. Die Politik sagt trotzdem Nein. Also geht es zurück in die inzwischen verstaubten Probenräume, zum Verbessern des Angepassten.
Und noch ein kurzer Zwischenruf: Wer fürchtet, dass Menschen andere Menschen mit tödlichen Viren anstecken, der kann nicht daran glauben, dass Boden-Klebestreifen und Stoffmasken dies verhindern. Wo ist die Schlüssigkeit in diesen Forderungen? Entweder wir leben mit Corona oder nicht. Ein bisschen steht nicht zur Auswahl. Wir müssen uns entscheiden - für ein Leben mit Corona, dann überlassen wir es den Menschen wieder selbst, auf sich aufzupassen. Oder wir wollen ein Leben ohne Corona, #zerocovid. Dann jedoch müssen wir uns von der Idee der Öffentlichkeit verabschieden. In einem Hygiene-Totalitarismus mit Vollüberwachung werden weder Künstler noch Publikum ehrlich sein können.
Diese Zeiten rufen nach kreativem Ausrufen des Unsagbaren, nach subtilem Andeuten des Unglaublichen, nach Kunst, die Risse in die Fassaden reißt, auf das endlich wieder Licht durchkommt. Kunst muss nicht laut sein, aber sie sollte auch nicht stumm sein. Das Schweigen der Kunst ist das Schwinden der Hoffnung. Denn wer, wenn nicht die Freien, kann den Mut haben, zu sagen, was ist?